Am kommenden Montag können Sie online an einer besonderen Lesung teilnehmen. Aus Anlass des Internationalen Frauentages werden Autorinnen und Autoren von „nid“, „Neu in Deutschland“ (nid), einer deutschsprachige Zeitung über Flucht und Ankommen mit Texten geflüchteter Frauen und Männer für die Flüchtlingsinitiative “Willkommen in Wermelskirchen” aus ihren Texten lesen. “Neu in Deutschland” ist zugleich eine Plattform für vielfältige persönliche Begegnungen: kreative öffentliche Aktionen, Lesungen, Interviews und andere Dialog-Formate. 2015 als Hilfsprojekt für Geflüchtete gestartet, entwickelte sich „nid“ zu einem literarischen Demokratieprojekt, in dem geflüchtete Frauen und Männer sich mit starken, sehr unterschiedlichen Stimmen in der deutschen Gesellschaft zu Wort melden.
So können Sie teilnehmen:
- Installieren Sie die Zoom-App auf Ihrem Endgerät, Handy, Tablet oder PC.
- Öffnen Sie diesen Link: //eu01web.zoom.us/j/61411078368?pwd=RFhibDlTQ2tjUTZTb1l4eXZhcHpOQT09 (Meeting-ID: 614 1107 8368 Kenncode: 487539)
- Nach einem kurzen Verweilen im Warteraum werden Sie zu der Lesung in den virtuellen Raum eingelassen.
- Nach der Lesung werden Untergruppen mit etwa 5 Personen gebildet, in denen Sie sich austauschen können.
- Denken Sie daran, sich ein Getränk bereitzustellen.
- Die Veranstaltung wird etwa 60 Minuten dauern
EIN NEUES KLEID
Wer mehrere Sprachen spricht, hat das große Glück, in verschiedene Welten eintauchen zu können. Und umgekehrt? Bleibt man immer der gleiche Mensch, egal in welcher Sprache man sich gerade bewegt?
Von Amel Fellah
In Algerien bin ich, wie die allermeisten Menschen dort, mit zwei Sprachen aufgewachsen: mit algerischem Arabisch und Französisch. In beiden Sprachen fühle ich mich zuhause. Ich bewege mich vertraut zwischen den Sprachen, so wie ich manchmal diesen oder einen anderen Pullover trage, manchmal Hosen, manchmal Kleider.
Als Teenager habe ich mich dann in die deutsche Sprache verliebt und hatte das große Glück, an der Uni Germanistik studieren zu können. Die deutsche Sprache wurde die Sprache meiner Selbstgespräche, meines studentischen Lebens und meiner Träume. Seit ich vor zwei Jahren nach Deutschland gezogen bin, ist die deutsche Sprache zu einem Teil von mir geworden, meine Seele ist ein Stück weit deutsch geworden. Ich bin sozusagen über mich hinaus gewachsen, ich habe neue Kleider in meinem Schrank, die ich jeden Tag trage.
Die neuen Kleider stehen mir gut, glaube ich. Aber ich bewege mich anders darin, entdecke neue Seiten an mir. Manchmal wundere ich mich über mich selbst. Bin ich das? Bin ich stärker geworden? Bin ich offener geworden? Glaube ich mehr an mich selbst? Ich gefalle mir auf Deutsch ganz gut. Vielleicht, weil ich die Sprache liebe.
Bei der Arbeit komme ich gut zurecht und eigentlich habe ich mir gar nicht so viele Gedanken darüber gemacht, ob ich auf Deutsch anders wahrgenommen werde.
Bis neulich eine Kundin in unseren Laden kam, die Französisch sprach. Ohne nachzudenken, schlüpfte ich sofort in mein französisches Kleid und fühlte mich darin pudelwohl. Als die Kundin draußen war, sagte meine Kollegin zu mir: Wow, was war das denn? Du warst ja eine ganz andere Person! Wie Du gestrahlt hast! Wie sicher Du gesprochen hast! – Sie hatte mich zum ersten Mal in meinem muttersprachlichen, französischen Kleid gesehen. Die deutsche Amel spricht langsamer und schüchterner als die algerische oder die französische. Ich gebe zu, ich habe selbst ein Gefühl größerer Sicherheit gespürt. Mir kann nichts passieren, Schutzengel haben mich umgeben.
Ich gebe noch etwas zu: Bei Konflikten gefalle ich mir auf Deutsch überhaupt nicht! Dann zwickt das Kleid überall und passt überhaupt nicht. Am liebsten würde ich mich sofort umziehen! In meiner Muttersprache bin ich selbstbewusster, mutiger. Ich kann mich besser verteidigen, begründen und gewinnen! Wenn man in einer anderen Sprache lebt, verändert man sich. Jeder auf seine Weise. Aber es sind nur Ergänzungen zu dem, was wir muttersprachlich sind. Ich bin immer ich. Ich verändere mich nicht, ich ergänze mich nur und gewinne Neues hinzu.
Dieser Text erschien 2021 in der 19. Ausgabe der Zeitung „nid – Neu in Deutschland“.