Simmern | Antisemitismus und christlicher Glaube sind nicht vereinbar. Das hat Präses Manfred Rekowski am Abend unterstrichen. „Wenn heutzutage in unserem Land wieder Synagogen angegriffen werden und Menschen, die sich offen zum jüdischen Glauben bekennen, auf unseren Straßen angespuckt werden, dann sollten wir die ersten sein, die öffentlich widerstehen und widersprechen. Die Aufgabe, dem Antisemitismus entgegenzutreten, ist nicht delegierbar an die Jüdischen Gemeinden, sondern das ist Christenpflicht und gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit“, sagte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland in seiner Predigt im Reformationstagsgottesdienst in der Stephanskirche in Simmern (Hunsrück).
„Höre, Israel, der Herr, unser Gott, der Herr ist einer“
Präses Rekowski verwies auf den Predigtext aus dem 5. Buch Mose, einem der wichtigsten Texte aus der jüdischen Bibel, der mit den Worten beginnt: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, der Herr ist einer. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ Diese Sätze, so Rekowski, führten direkt hinein in die Gebetspraxis, in die umfassende Frömmigkeit der jüdischen Geschwister. Allein schon diese Textauswahl mache deutlich: „Wir können niemals Kirche der Reformation sein, wenn wir unsere alttestamentlichen Wurzeln verleugnen oder wenn wir als christliche Kirche das erwählte Volk Gottes verdrängen oder wenn wir meinen, wir wären an seine Stelle getreten. Gerade am Reformationstag erinnern wir uns voller Scham daran, wie Martin Luther die Juden gedemütigt und sie der Verfolgung preisgegeben hat.“ Auch der Antijudaismus gehöre zum schweren Erbe der Reformation.
Wo Juden zu Opfern werden, nimmt die Gesellschaft Schaden
„Wo immer Jüdinnen und Juden zu Opfern werden, nimmt auch unsere Gesellschaft Schaden. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober hat die traurige Aktualität dieser Aussage gezeigt. Wir als Evangelische Kirche im Rheinland stehen an der Seite der jüdischen Gemeinden. Nie wieder darf Antisemitismus, der mit Worten beginnt und mit Untaten endet, seine zerstörende und menschenverachtende Wirkung entfalten. Ohne Solidarität mit dem Volk Gottes der ersten Wahl haben wir keinen Zugang zu dem Gott, dessen Stimme wir heute hören wollen. Jesus selbst hat die ersten Sätze des ,Höre Israel‘ zitiert, als ihn jemand fragte: ,Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?‘ ,Höre Israel!‘ Diese Ur-Kunde des Volkes Israel hat Jesus Christus auch für uns zum Eingangstor zum ewigen Leben gemacht.“
„Wir sind geliebter, als wir wissen“
Zu den Erkenntnissen der Reformation, die die evangelische Kirche heute feiert, gehöre auch diese: Auf den Gott Israels, den Vater Jesu Christi, ist Verlass. „Reformation heißt deshalb immer: Vor all dem, was wir tun können und zu tun haben, steht, was Gott für uns getan hat. Wir leben nicht von dem, was wir schaffen oder geschafft haben. Und wir sterben nicht an dem, was uns misslang und woran wir gescheitert sind. Wir sind geliebter als wir wissen und als Menschen es uns zeigen können. Wir sind nicht allein, wir sind nie allein. Auf diesen Gott dürfen wir unser ganzes Vertrauen setzen“, so der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland.
vom EKiR-Pressedienst Text: Jens Peter Iven Foto: Eric Lichtenscheidt